Meinrad Spieß

Vita

Meinrad Spieß Der am 24.8.1683 in Honsolgen geborene Bauernsohn Matthäus Spieß kam im Alter von elf Jahren als Klosterschüler in die reichsfreie Benediktinerabtei Irseeexterner Link, wo er nach Gymnasialunterricht und ersten Musikstudien im Jahre 1701 das Noviziat antrat und 1702 die Profeß ablegte (Ordensname: Meinrad). Daran schloß sich ein philosophisch-theologisches Studium an, das mit der Priesterweihe 1707 seinen Abschluß fand. Auf Grund seiner außerordentlichen musikalischen Begabung wurde P. Meinrad ein dreijähriger Aufenthalt in München ermöglicht (1709-1712), wo er als Schüler des kurfürstlichen Hofkapellmeisters Guiseppe Antonio Bernabei (1649-1732) am Hofe von Max II. Emanuel seine entscheidende musikalische Prägung erfuhr. Nach seiner Rückkehr war Spieß von 1713 bis ca. 1750 als Musikdirektor für die musikalische Gestaltung der Liturgie und von festlichen Anlässen im Stift Irsee verantwortlich. In diese Zeit datieren seine uns erhaltenen Kompositionen so wie das Lehrbuch “Tractatus Musicus Compositorio - Practicus” (Augsburg 1745), das ihn weit über die Grenzen seines Wirkungsbereiches hinaus als Musikgelehrten bekannt machte. Innerhalb seines Ordens bekleidete P. Meinrad verschiedene Ämter im Kloster (Subpriorat, Priorat, etc.) und trat überregional als Orgel- und Glockenexperte hervor; die Disposition der weitgehend erhalten gebliebenen Irseer Klosterorgel von Balthasar Freiwiß (Aitrang) von 1749/50 wurde von ihm maßgeblich mitbestimmt.
Im Jahre 1743 nahm ihn Lorenz Christoph Mizlerexterner Link als einzigen süddeutschen Komponisten in seine “Correspondierende Societät der musikalischen Wissenschaften in Deutschland” auf, der u.a. auch Bach, Händel und Telemann angehörten. Im Jahr 1750 wird P. Anselm Schwink als Musikdirektor genannt, während Spieß vermehrt der musikalischen Korrespondenz nachging. Am 12.6.1761 verstarb er im 78. Lebensjahr.

Näheres zu Leben und Werk bei:
Alfed Goldmann, Meinrad Spieß. Der Musikerprior von Irsee, Weißenhorn 1987 (Schwäbische Heimatkunde Bd. 5, hrsg. von H. Frei und W. Haberl)
obiges Bild: Portrait von Pater Meinrad Spieß ; Ölgemälde des Kunstmalers Karl Goldmann (1882-1976) nach einem 1752 erschienenen Kupferstich von Klauber (Augsburg);
(der genannte Stich ist auf S. X der Partitur der Missa S. Eugenii [Opus IV, Nr. 1; MR09001] abgedruckt )

Werksverzeichnis

Meinrad Spieß hinterlässt uns in seinem “Tractatus Musicus Compositorio - Practicus” auf der letzten Seite eine “Specification aller meiner musicalischen Wercken / so im Druck heraus seynd”.
Leider sind uns nicht alle hierin aufgeführten Werke erhalten geblieben:

OPUS I 26 marianische Antiphonen (1713) 
OPUS II Vesperpsalmen (1717) Digitalisat der BSB Münchenexterner Link
OPUS III Geistliche Gesänge (1718) 
OPUS IV mehrere Messen (1719) 
OPUS V 20 Offertorien (1723) 
OPUS VI Lauretanische Litaneien (1726) 
OPUS VII Sonaten (1734) 
OPUS VIII Tractatus Musicus Compositorio - Practicus (1745) Digitalisat der BSB Münchenexterner Link

Darüberhinaus verwahrt das Musikarchiv Ottobeuren zwei handschriftlich überlieferte Psalmvertonungen:

Miserere, Psalm 51(50)
Beatus Vir, Psalm 111(112)

Weitere Werke, die seinen Namenszug tragen, konnten ihm bislang nicht zweifelsfrei zugeordnet werden.

Cithara Davidis, hoc est Psalmi Vespertini (Opus II)

Diese 1717 als Opus II veröffentlichte Sammlung von Vesperpsalmen enthält folgende Vertonungen:

Ps. 69 (70)Domine ad adjuvandum.  â 4. voc. & 5. Instrumentis.
Ps. 109 (110)  Dixit Dominus: longius.â 4. voc. & 5. Instrumentis.
Ps. 109 (110)Dixit Dominus: breve.â 4. voc. & 5. Instrumentis.
Ps. 110 (111)Confitebor.Alto Solo. Con. 2. Violin. 4. voc. & 5.Instrum. pro Choro.
Ps. 111 (112)Beatus Vir.Canto Solo. Con. 2. Violin. 4. voc. & 5. Instrum. pro Choro.
Ps. 112 (113)Laudate Pueri.Basso Solo. Con. 2. Violin. 4. voc. & 5. Instrum. pro Choro,
Ps. 115 (116)Credidi.Basso Solo. Con 2. Violin. 4. voc. & 5. Instrum. pro Choro.
Ps. 121 (122)Laetatus sum.Canto Solo. Con. 2. Violin. 4. voc. & 5. Instrum. pro Choro.
Ps. 126 (127)Nisi Dominus.â 4. voc. & 5. Instrumentis.
Lk 1,46ffMagnificat.â 4. voc. & 5. Instrumentis.

Durch die im Juli 2010 erteilte Editionsgenehmigung der Bayerischen Staatsbibliothek München kann auch dieses Opus in den nächsten Jahren abschnittsweise als Reihe von musica redi•viva veröffentlicht werden.

Tractatus Musicus Compositorio - Practicus

Die Bayerische Staatsbibliothek München ermöglicht im Rahmen ihrer digitalen Bibliothek Zugriff auf den gesamten Traktat in der Erstausgabe von 1745. Die folgenden Links füren auf die angegebenen Seiten:

Miserere, Psalm 51 (50)

Besetzung: Canto conc., Alto conc., Tenore conc., Basso conc., Canto rip., Alto rip., Tenore rip., Basso rip., Violino I, Violino II, Viola I, Viola II, Violoncello, Violone, Organo

Das musikalische Œvre des P. Meinrad Spieß trägt den Erfordernissen der festlichen Liturgie eines Reichsstiftes Rechnung. Dabei steht Spieß in der Tradition mehrstimmiger Psalmvertonungen, die sich im 17. und 18. Jahrhundert unter italienischem Einfluß im katholischen Süddeutschland auf die feierliche Vesper konzentrierte und zahlreiche Werke diese Genres entstehen ließ, so auch sein Opus II. Der liturgische Ort des Psalms 51 (50) ist hingegen nicht die Vesper, sondern die Laudes am Morgen. Vor der Liturgiereform des zweiten Vaticanums wurde der Psalm 51 (50) “fast an allen Tagen, deren officium nocturnum nicht mit Te Deum schließt ...” (Zeit vor dem ersten Vorfastensonntag ‘Septuagesima’, dem neunten Sonntag vor Ostern bis zum Osterfest) “... et fer. per annum excepto temp. pasch.” gebetet. Die Intention war Reinigung bzw. Entsuhnung von Herz und Mund, damit das Lobopfer des Tages wurdig erbracht werden kann (Psalm 51 (50) ist der erste Psalm der Laudes). Damit steht Psalm 51 (50) zusammen mit den sechs anderen Büßpsalmen (Psalm 6, 32, 38, 102, 130, 143) im Dienst der kirchlichen Bußpraxis. Der Psalm ‘Miserere’ fand bei der letzten Ölung, beim Leichenbegängnis, der Wiederaufnahme Exkommunizierter, bei der sonntäglichen Aspersion vor der Meßfeier, der Altar- und Kirchenweihe oder der Benediction eines neu gewählten Abtes Verwendung. Besonders beliebt waren die Bußpsalmen in der Fastenzeit und der Karwoche, wo Psalm 51 (50) von Gründonnerstag bis Karsamstag nach jeder Hore gebetet wurde.
Mit Blick auf die aufwendige Vertonung durch Spieß stellt sich nun die Frage nach einem adäquaten Aufführungsanlaß, da die frühmorgentliche Laudes nicht der Vesper vergleichbar ausgestaltet wurde und für die Fastenzeit der instrumentale Aufwand wenig angemessen erscheint. Eine Verwendung zu Beginn eines festlichen Gottesdienstes (Aspersion), bei einer Abtweihe, einer Altar- oder Kirchenweihe erscheint immerhin denkbar, wenngleich eine konkrete Zuweisung nach derzeitiger Quellenlage noch nicht möglich ist. Anstelle einer liturgischen Zweckbindung könnte die Psalmvertonung ihrem Charakter nach als persönlicher Bekenntnistext des Komponisten verstanden werden.